Armenhaus Europas
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Kulturhauptstadt 2010 - eine Erfolgsgeschichte?
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Die Kulturhauptstadt 2010 in der Metropole Ruhr hat bereits zur Halbzeit alle Erwartungen der Organisatoren noch weit übertroffen. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Ruhr.2010-Geschäftsführer Dr. h.c. Fritze Peinlich appelliert bereits jetzt an alle Verantwortlichen, ein neues Großprojekt für das kommende Jahrzehnt zu starten.
Dabei haben sich schon in der ersten vier Monaten die schlimmsten Befürchtungen der Kritiker bewahrheitet. Das ging schon mit der total verpatzten Eröffnungsfeier im Schnee- und Eis-Chaos los, und setzt sich nun mit der dilettantischen Organisation der Schachtzeichen und deren Ende nicht absehbaren Dauerbaustelle A42 mit dem bezeichnenden Titel Park-Autobahn fort: Der Mythos eines nachhaltigen Wandels ist durch die Eröffnungsfeier noch einmal deutlich abgestraft worden. Die Menschen im Revier sehen sich nun nicht mehr als Bewohner einer Kulturmetropole, sondern einer ausufernden Dauerbaustelle riesigen Ausmaßes. Von Kultur ist hier schon lange keine Rede mehr, nun geht es erst einmal ums nackte Überleben im täglichen Kampf durch das Verkehrschaos, sofern man überhaupt noch dauerhaft Arbeit und somit etwas zu verteidigen hat: „Aber jetzt kommt es darauf an, das alte Revier auf dem Weg zur neuen Region weiter voranzubringen“, legt Dr. h.c. Fritze Peinlich geradezu zynisch nach, als stände man nicht längst im globalen Wettbewerb mit dem Rücken zur Wand. Geradezu mit kindlicher Naivität fordert er folglich schon jetzt an alle kommunal Verantwortlichen, auf, sich intensiv Gedanken darüber zu machen wie es mit der dahinsiechenden Kulturbaustelle weitergehen soll: „Das Revier braucht ein neues Großprojekt, in dem wir die Erfahrungen die wir beim Organisieren der Kulturhauptstadt gesammelt haben weiter nutzen können – mit einem weiten, aber absehbaren Zeithorizont, etwa bis 2020.“
Dass es damit wohl kaum etwas werden wird, ist zumindest in Teilen auch dem stark gealterten und mittlerweile leicht entrückt wirkenden Ruhr.2010-Chef klar. „Es muss auch nicht unbedingt ein rein kulturelles Projekt sein, aber die Erfahrungen von Ruhr.2010 könnten trotzdem gut einfließen.“ Der Erfolg der Kulturhauptstadt beruhe schließlich darauf, dass in diesem Projekt die „starken Gesellschafter“ Land NRW, Regionalverband Ruhr und Initiativkreis Ruhr zusammenarbeiteten. Ob die Ruhr.2010-Chefs damit etwa eine Weiterbeschäftigung für sich selbst suchen? Nein, sagt Fritze Pleinlich, sein Mit-Geschäftsführer Prof. Dr. Olivia Scheysst plane längst an seiner akademischen Laufbahn ausserhalb des Reviers, „und ich bin froh, wenn ich nach diesem Jahr endlich Ruhe habe.“ Hätten wir im Revier auch gerne, aber daraus wird wohl nichts ...
Das Kulturhauptstadtjahr hat begonnen ...
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... und ist auch schon wieder vorbei. Was hat es uns gebracht? Welche Wirkung in die Zukunft wird das Ereignis auf kommunaler Ebene haben? Wurde neben der Präsentation soziokultureller Utopien auch ein Imagewandel, eine Stadterneuerung sowie die Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität angestoßen? Mit dieser an sich einfachen Fragestellung im Gepäck erntet der interessierte Bürger von offizieller Seite nur ein verschämtes Achselzucken.
Dabei lässt es sich ganz einfach auf den Punkt bringen:
Die Realität ausserhalb der bis zum endgültigen Abriss aufgehübscht dahinrostenden Industriedenkmäler, spärlich begrünten Abraumhalden, und der schon bei der Einweihung maroden City-Center wird weiterhin von Armut, architektonischem Verfall, ernsthaften Gesundheits- und Bildungsdefiziten beherrscht. Das "Herausputzen der Innenstädte im Rahmen der Kulturhauptstädte" ist komplett fehlgeschlagen. Die Gentrifizierung und touristische Aufwertung der Region, sowie die Schwerpunktsetzung auf passiven Konsum bei gleichzeitigen Vernachlässigung sozialer Komponenten führt am Ende zwangsläufig zu einer sozialräumlichen Spaltung der gesamten Region und ihrer Randgebiete. Der historisch gewachsene, aber in Folge des wirtschaftlichen Abschwungs bereits geschwächte regionale und interkulturelle Zusammenhalt bricht daraufhin völlig auseinander.
Die Konkurrenz unter den Kommunen und innerhalb der Bildungseliten wächst, die Ausgrenzung von sozial Schwachen, Zuwanderern und Nachkommen ehemals nützlicher und willkommener Gastarbeiter aus allen Bereichen des nunmehr kommerzialisierten kulturellen Lebens wird nachhaltig manifestiert. Die mannigfaltigen Probleme der Kommunen durch steuerliche Mindereinnahmen, maßgeblich verursacht durch überbordenden Immobilienleerstand in den Innenstädten, das Anwachsen von Kleinkriminalität aus rein ökonomischer Not, die Abwanderung des gehobenen Einzelhandels in Ermangelung kaufkräftiger Kundschaft, sowie den durch billigen Wohnraum geförderten Zuzug von sozialschwachen und bildungsfernen Schichten, nicht nur aus dem gesamten Bundesgebiet, sondern ganz aus Europa und weit darüber hinaus, führen am Ende zu einer weiteren Beschleunigung des Verfalls dieser ehemals wirtschaftlich wie kulturell blühenden Industriemetropole.
Und die Verantwortlichen? Die machen sich derweil auf nach Berlin, um ihre reaktionären Vorstellungen von deutschnationaler Mittelstandskultur in die bisher kulturell brachliegenden, aber landschaftlich reizvollen und traditionell nationalbewussten neuen Bundesländer zu tragen, wo Prof. Dr. JOKEI* Scheysst und Anhang auch ohne Zweifel mit offenen Armen empfangen werden. (* Jedem Ordentlichen Kind Ein Instrument)
Ist ruhr.2010 gescheitert?
Auf die Frage ob es Aufgabe des Kulturhauptstadtjahres sein kann die Situation in einer Stadt im Ganzen zu ändern, antwortete einer der Initiatoren dereinst nachdrücklich, dass dies von der Institution Europäische Kulturhauptstadt in keinem Fall zu leisten sei. Diese könne zwar Auswirkungen auf das Image einer Stadt oder Region haben, positive Prozesse anstoßen und Experimente möglich machen, aber die Verbesserung der Lebensqualität würde jedoch komplexere und nachhaltigere Veränderungen bedürfen.
Fazit: Ohne Schaffung eines gesellschaftlichen Konsens unter Berücksichtigung der Mehrheitsverhältnisse und Einbeziehung der im Revier lebenden Menschen unterschiedlichster Herkunft und kultureller Prägung, ohne das bedingungslose Bekenntnis der Landes- wie Kommunalpolitik zur real existierenden multikulturellen Gesellschaft jenseits von überkommener Deutschtümelei und westeuropäischem Kulturimperialismus sind weitere Anstrengungen zum Strukturwandel nicht nur völlig obsolet und zum Scheitern verurteilt, sondern zerstören zudem nachhaltig auch noch die letzten Reste kultureller Identität und sozialen Zusammenhalts in einer an sich bereits vor Jahrzehnten planvoll abgewirtschafteten Region am Rande des sozialen Kollaps.
"The city of culture is understood as an urban spectacle or as a festival of spectacular cultural consumption" hieß es wohl schon 1990 in Glasgow, und das hat sich 20 Jahre später folgerichtig auch im Revier bewahrheitet!