DE GB AL IT FR ES NL PT RU RO PL CZ BG SE NO DK FI GR IN SA JP CN KR

Das Kulturhauptstadtjahr hat begonnen ...

... und ist auch schon wieder vorbei. Was hat es uns gebracht? Welche Wirkung in die Zukunft wird das Ereignis auf kommunaler Ebene haben? Wurde neben der Präsentation soziokultureller Utopien auch ein Imagewandel, eine Stadterneuerung sowie die Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität angestoßen? Mit dieser an sich einfachen Fragestellung im Gepäck erntet der interessierte Bürger von offizieller Seite nur ein verschämtes Achselzucken.

Dabei lässt es sich ganz einfach auf den Punkt bringen:

Die Realität ausserhalb der bis zum endgültigen Abriss aufgehübscht dahinrostenden Industriedenkmäler, spärlich begrünten Abraumhalden, und der schon bei der Einweihung maroden City-Center wird weiterhin von Armut, architektonischem Verfall, ernsthaften Gesundheits- und Bildungsdefiziten beherrscht. Das "Herausputzen der Innenstädte im Rahmen der Kulturhauptstädte" ist komplett fehlgeschlagen. Die Gentrifizierung und touristische Aufwertung der Region, sowie die Schwerpunktsetzung auf passiven Konsum bei gleichzeitigen Vernachlässigung sozialer Komponenten führt am Ende zwangsläufig zu einer sozialräumlichen Spaltung der gesamten Region und ihrer Randgebiete. Der historisch gewachsene, aber in Folge des wirtschaftlichen Abschwungs bereits geschwächte regionale und interkulturelle Zusammenhalt bricht daraufhin völlig auseinander.

Die Konkurrenz unter den Kommunen und innerhalb der Bildungseliten wächst, die Ausgrenzung von sozial Schwachen, Zuwanderern und Nachkommen ehemals nützlicher und willkommener Gastarbeiter aus allen Bereichen des nunmehr kommerzialisierten kulturellen Lebens wird nachhaltig manifestiert. Die mannigfaltigen Probleme der Kommunen durch steuerliche Mindereinnahmen, maßgeblich verursacht durch überbordenden Immobilienleerstand in den Innenstädten, das Anwachsen von Kleinkriminalität aus rein ökonomischer Not, die Abwanderung des gehobenen Einzelhandels in Ermangelung kaufkräftiger Kundschaft, sowie den durch billigen Wohnraum geförderten Zuzug von sozialschwachen und bildungsfernen Schichten, nicht nur aus dem gesamten Bundesgebiet, sondern ganz aus Europa und weit darüber hinaus, führen am Ende zu einer weiteren Beschleunigung des Verfalls dieser ehemals wirtschaftlich wie kulturell blühenden Industriemetropole.

Und die Verantwortlichen? Die machen sich derweil auf nach Berlin, um ihre reaktionären Vorstellungen von deutschnationaler Mittelstandskultur in die bisher kulturell brachliegenden, aber landschaftlich reizvollen und traditionell nationalbewussten neuen Bundesländer zu tragen, wo Prof. Dr. JOKEI* Scheysst und Anhang auch ohne Zweifel mit offenen Armen empfangen werden. (* Jedem Ordentlichen Kind Ein Instrument)

Ist ruhr.2010 gescheitert?

ruhr 2010Auf die Frage ob es Aufgabe des Kulturhauptstadtjahres sein kann die Situation in einer Stadt im Ganzen zu ändern, antwortete einer der Initiatoren dereinst nachdrücklich, dass dies von der Institution Europäische Kulturhauptstadt in keinem Fall zu leisten sei. Diese könne zwar Auswirkungen auf das Image einer Stadt oder Region haben, positive Prozesse anstoßen und Experimente möglich machen, aber die Verbesserung der Lebensqualität würde jedoch komplexere und nachhaltigere Veränderungen bedürfen.

Fazit: Ohne Schaffung eines gesellschaftlichen Konsens unter Berücksichtigung der Mehrheitsverhältnisse und Einbeziehung der im Revier lebenden Menschen unterschiedlichster Herkunft und kultureller Prägung, ohne das bedingungslose Bekenntnis der Landes- wie Kommunalpolitik zur real existierenden multikulturellen Gesellschaft jenseits von überkommener Deutschtümelei und westeuropäischem Kulturimperialismus sind weitere Anstrengungen zum Strukturwandel nicht nur völlig obsolet und zum Scheitern verurteilt, sondern zerstören zudem nachhaltig auch noch die letzten Reste kultureller Identität und sozialen Zusammenhalts in einer an sich bereits vor Jahrzehnten planvoll abgewirtschafteten Region am Rande des sozialen Kollaps.

"The city of culture is understood as an urban spectacle or as a festival of spectacular cultural consumption" hieß es wohl schon 1990 in Glasgow, und das hat sich 20 Jahre später folgerichtig auch im Revier bewahrheitet!